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»So etwas wie Rasse gibt es gar nicht« Eine Essay-Sammlung von Toni Morrison

Ein Buchtipp von den Autoren mehrerer USA-Bände bei Iwanowski’s, u.a. „USA-Ostküste“, „USA-Nordosten“ oder „USA-Westen“, Dr. Margit Brinke – Dr. Peter Kränzle, August 2018

Inhalte

„So etwas wie Rasse gibt es gar nicht“ – das ist die Quintessenz eines neuen, im Rowohlt Verlag erschienenen Buches („Die Herkunft der Anderen“) mit Texten der berühmten und ersten weiblichen afroamerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Die hier zusammengestellten Texte wurden im Sommer 2016, während der US-Präsidentschaft von Barack Obama, als Vorlesungen an der Harvard University gehalten.
Die sogenannte Rassenfrage hat Morrison schon immer beschäftigt und spielt in all ihren Romanen – zuletzt in „Menschenkind“ – eine Rolle. In den Essays geht es nun explizit um Betrachtungen zu Rasse und Rassismus, um das Konzept des „Andersseins“ und „Andersmachens“ unter verschiedenen Aspekten und somit auch um die Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft und um die Rolle der Literatur.

Vom „Anderssein“ und „Andersmachen“

Eine grundlegende Aussage Morrisons ist, dass „Anderssein“ und Rasse nicht angeboren sind und dass auch niemand Rassismus in die Gene gelegt bekommt. Ein Kernthema der Autorin wird auch hier behandelt: die Sklaverei und ihre Folgen. Sie gibt Erklärungen für das jahrhundertealte Problem des Rassismus, beschäftigt sich mit der Romantisierung des Sklaventums und den früher gruseligen Vorstellungen von der „mentalen Lethargie der Neger“.
Es geht in dem Band um den sadistischen Umgang britischer Kolonialisten mit farbigen Sklaven Mitte des 19. Jahrhunderts und um die  Selbstverständlichkeit, mit der Frauen vergewaltigt, Männer umgebracht, Kinder missbraucht wurden. „Die Notwendigkeit, die Sklaven zu einer fremden Art zu erklären, scheint ein verzweifelter Versuch zu sein, sich seiner eigenen Normalität zu versichern“, schreibt Morrison. Das Gegenüber wird zu etwas Minderwertigem gemacht, um Gewalt zu rechtfertigen. Diese rassistische Entmenschlichung verdeutlicht Morrison mithilfe historischer Dokumente, z. B. mit den Aufzeichnungen des Sklavenbesitzers Thomas Thistlewood, der über seine begangenen Vergewaltigungen von Sklavinnen akribisch „Buch“ geführt hat.
Morrison befasst sich aber auch mit ihrer eigenen Berufssparte und belegt anhand von Beispielen von „Onkel Toms Hütte“ über Faulkner bis Hemingway die ständige Angst der „Weißen“ vor den „Schwarzen“. Bei Hemingway wird die Hautfarbe beispielsweise zum dramaturgischen Element, wenn er schwarze Schurken auftreten lässt, die keine Namen tragen und die er konsequent „Nigger“ nennt. Auch im Roman „Der Garten Eden“ wird die schwarze Hautfarbe sexualisiert und exotisiert.
Ein anderes Thema ist der Rassismus unter den Farbigen selbst: „Meine Urgroßmutter war teerschwarz, und meine Mutter verstand genau, was sie meinte: Wir, ihre Kinder, und damit unsere engste Familie, waren besudelt, nicht rein“ – so eine Erinnerung von Toni Morrison. Die Schriftstellerin und ihre ältere Schwester waren in den Augen der Urgroßmutter zu hell und sie sah deshalb in den Kindern etwas „Unreines“.

Blick über die USA hinaus

Toni Morrison geht nicht auf aktuelle politische Ereignisse und Trumps teils rassenfeindliche Äußerungen und Handlungen ein. Sie zieht vielmehr Bilanz nach Jahrzehnte langer Beschäftigung mit den Themen Rassismus, Abgrenzung und Abwertung Anderer. Die Schriftstellerin spannt den Bogen von der Sklaverei in den USA zu den aktuellen Zuständen und Verhaltensweisen, blickt dabei auch über die Grenzen der USA hinaus und befasst sich mit Migration, Fremdenhass, Verunsicherung durch Globalisierung und der Verlust von Zugehörigkeit.
Morrisons Essays sind als eine „Hilfe zum Verständnis, wie wir in unsere heutige Situation geraten konnten“ zu verstehen, so Ta-Nehisis Coates treffend in seinem Vorwort zum Buch. Sie bieten Denkanstöße und Erklärungsansätze: „Was bedeutet schwarz?“, was ist „romantisierte Sklaverei“, „Anderssein“ und „Andersmachen“, was sind die Ursachen des Rassismus, oder konkreter: Worin besteht dessen Nutzen?
Toni Morrison gilt nicht nur als „Stimme des Schwarzen Amerikas“, sondern ist eine mitreißende und kritische Erzählerin. Ihre knappe, kraftvolle Sprache fesselt den Leser. Das Buch ist liebevoll gestaltet: flexibles Hardcover, farblich passendes Lesebändchen in Rot und eignet sich prima als Geschenk, das zum Denken anregt …

INFO:
Toni Morrison, Die Herkunft der anderen. Über Rasse, Rassismus und Literatur , Rowohlt Verlag, 2018, 112 Seiten, ISBN: 978-3-498-04543-2, übersetzt von: Thomas Piltz 16 Euro

© Text: Dr. M. Brinke – Dr. P. Kränzle
Fotos: © M. Brinke mit Ausnahme des Buchcovers (© Rowohlt Verlag).

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