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Ausstellungs-/Buchtipp: „I Got Rhythm, I Got Music!“ – Wie der Jazz aus Amerika nach Europa kam

Ein Lese- und Ausstellungstipp von den Autoren des Bandes „USA-Ostküste“ und anderer USA-Bände, Margit Brinke – Peter Kränzle, März 2016

„I Got Rhythm“, für den Titel des im Prestel Verlag erschienenen Ausstellungskataloges stand kein Geringerer als Louis Armstrong Pate. Mit 18 hatte Armstrong seinen ersten Fulltime-Job als Trompeter in der Band von Edward Kid Ory angenommen, 1922 ging er nach Chicago und bald folgten Plattenaufnahmen als Mitglied von Joe „King“ Olivers Creole Jazz Band. Louis Armstrong Der Jazz war um 1900 am Mississippi, im Tiefen Süden der USA, aufgekommen und hatte sich in der Hafenstadt New Orleans zu voller Blüte entwickelt. Während des Ersten Weltkriegs zogen viele Musiker in den Norden der USA, v.a. nach Kansas City und Chicago – Städte die sich zu Hochburgen des Jazz entwickeln sollten.
Auch Harlem war ein solches Zentrum. Dort hatte sich neben der Kirche in den 1920er-Jahren der Jazz zum Sprachrohr der schwarzen Kultur entwickelt. Auch wenn die Weißen die Fäden zogen und in den Topklubs nur weißes Publikum zugelassen war, wurde Harlem Jazz Museum Kansasenorm wichtig für das Selbstbewusstsein der Afroamerikaner. Harlem war in den 1920er-Jahre als die „Black Capital of the Western World“ bekannt und galt als das „gelobte Land“ der Afroamerikaner. Die sogenannte Harlem Renaissance beherrschte die Kulturszene, Jazz, Ballett, Theater und Literatur während der „Roaring Twenties“.

Haarlem – „Black Capital of the Western World“

Um den Jazz und seine künstlerische Rezeption in den USA, aber auch in Deutschland, geht es in dem schön aufgemachten, zweisprachigen Katalog 4-NYC-HarlemMural„I got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920“, der – übrigens im Format eines Plattencovers – anlässlich einer Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart (noch bis zum 6. März 2016) im Prestel Verlag erschienen ist. Verfasser sind die Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart, Ulrike Groos, und die beiden Ausstellungskuratoren Sven Beckstette und Markus Müller.
Der Jazz aus den USA eroberte in den 1920er- und 1930er-Jahren die Tanzsäle und Ballhäuser, Clubs, Bars und Cafés, Varietés und Kinos in Europa im Sturm. Die neue Musik begeisterte die Bohème und das Großbürgertum genauso wie Jugendliche und Intellektuelle und riss sie hierzulande aus der wilhelminischen Starrheit und dem herrschenden Konservativismus. War es zu Anfang vor allem das Interesse für die Kulturen der vermeintlich primitiven Naturvölker Afrikas und Ozeaniens – wie zum Beispiel in dem Bild „Negertanz“ von Ernst Ludwig Kirchner von 1911 –, 5-NewOrl-MuralCentralCityzeigen die Verfasser des Bandes in klugen Aufsätzen unter anderem auf, wie sich die Rezeption allmählich veränderte.Beispiele von Künstlern wie Otto Dix, Max Beckmann, Piet Mondrian, Jackson Pollock, Romare Bearden, Andy Warhol oder A.R. Penck machen deutlich, wie der Jazz das 20. Jahrhundert hindurch eine bemerkenswerte Rezeption in der Kunst – 6a-NO-MusikerJazzvon der klassischen Moderne über Abstraktion bis hin zur Gegenwartskunst – erfahren hat. Offensichtlich werden dabei auch die engen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Jazz und Bildender Kunst.

Text und Bild perfekt vereint

Das Buch besteht aus mehreren Essays zu Themen wie „- Jonny spielt auf – Der Jazz erobert Deutschland“, ein anderer befasst sich ausführlich mit dem Phänomen 6b-NO-JazzfestMusikerJosephine Baker und es geht um die Entwicklung des Jazz zum Massenphänomen. Jazz im Werk afroamerikanischer (und anderer) Maler, vor allem von Archibald Motley (s. Foto aus einer Ausstellung im Whitney Mus. New York), Romare Bearden, oder Jean-Michel Basquiat, ist ebenfalls ein Thema wie das Verhältnis zwischen Jazzmusik und abstrakter Malerei. Auch andere Musikrichtungen – Blues, Rhythm & Blues, Rock’n’Roll und Beat – und ihre Rezeption in der Kunst kommen zur Sprache. Zwischen die Essays eingeschoben sind immer wieder Bildstrecken und plattencover-artig gestaltete schwarze Seiten mit Zitaten aus verschiedenen literarischen Werken über den Jazz.
Dix, Beckmann, Grosz – sie alle waren begeistert vom Jazz, der Anfang des 20. Jahrhunderts als die „Musik der Zukunft“ galt. Die afroamerikanische Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker wurde zur vielbeachteten und dargestellten Schlüsselfigur, ebenso wie Frank Sinatra oder Louis Armstrong. Bis in die Sechzigerjahre füllten Stars wie die Sängerin Ella Fitzgerald oder die Bigbands eines Lionel Hampton oder Duke Ellington riesige Hallen.

Otto Dix, Max Beckmann und George Grosz

Otto Dix‘ Triptychon „Großstadt“ von 1926/27 ist ein grandioses Beispiel für die „Roaring Twenties“ nach dem Ersten Weltkrieg einerseits, für Elend und Dekadenz andererseits: H7-NYC-WhitneyMus-Motleyuren und Kriegskrüppel, „Negertänze“ und Musiker und die weiße Haute-Volée, die sich unbeschwert vergnügt. Max Beckmann malte 1930 ein „Selbstbildnis mit Saxophon“ und ist mit „Begin the Beguine“ vertreten, das auf das gleichnamige Stück von Cole Porter verweist. Dix und Beckmann sind, wie auch George Grosz, in der Nazizeit in die USA ausgewandert. Letzterer ließ sich in New York nieder und malte eine Serie von Aquarellen, darunter das erwähnte „Negerpaar in Harlem“. Grosz wurde in den USA zum Lehrer von Romare Bearden, dem ersten bekannten afroamerikanischen Künstler, der Jazzbilder malte, z.B. eine Jazzband. Das Buch, das sich  übrigens nicht ausschließlich mit Musik und Kunst, sondern durchaus auch mit gesellschaftlichen und sozialen Problemen, Rassentrennung und Ku-Klux-Klan befasst, schließt mit einer hilfreichen Werkübersicht mit Informationen zu den einzelnen Künstlern in Kurzform.

I got Rhythm - PrestelINFO: I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920, hrsg. von Ulrike Groos, Sven Beckstette und Markus Müller, Deutsch/English, Prestel Verlag 2015, 288 Seiten, 190 Farbabbildungen, ISBN 978-3-7913-5497-2, € 49,95

© Text & Fotos: M. Brinke – P. Kränzle

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