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USA Neuengland: New Bedford in Massachusetts – Hafenstadt mit vielen Gesichtern

Ein Reisetipp von den Autoren des Bandes „USA-Nordosten“ und „USA-Ostküste“, Dr. Margit Brinke – Dr. Peter Kränzle, Juni 2017

„Call me Ishmael“ – wer kennt ihn nicht, den berühmten Anfangssatz von Herman Melvilles grandiosem Roman „Moby Dick“. Bevor es auf die verhängnisvolle Jagd nach dem Wal geht, hält sich der Held jedoch zunächst in der Hafenstadt New Bedford auf. Knapp 100 km südlich von Boston im Bundesstaat Massachusetts gelegen, hat sich der Ort aus mehreren Gründen einen Namen gemacht: als Ausgangspunkt des Romans „Moby Dick“, als bedeutender Hafen der Walfangindustrie, aber auch als zeitweilige Heimat von Frederick Douglass, jenem berühmten Redner, Politiker und Schriftsteller, der sich als entlaufener Sklave vehement für die Abschaffung der Sklaverei, für die Bürgerrechte und die Gleichberechtigung einsetzte.

Wichtige Station der „Underground Railroad“

Frederick Douglass (1818-1895) lebte und wirkte in New Bedford, wo er sich nach seiner Flucht und der Heirat mit der freien Afroamerikanerin Anna Murray 1838 niederließ. Douglass unterstützte auch aktiv die sog. Underground Railroad, wobei New Bedford als tolerante Stadt galt. Speziell die hier lebenden Quäker – eine aus England stammende Religionsgemeinschaft, die u. a. die Sklaverei ablehnte – halfen vielen aus dem Süden geflüchteten Sklaven. Die Stadt wurde zu einer bedeutenden Station an der „Underground Railroad“, keine Eisenbahnlinie, sondern ein landesweites Hilfsnetz für entflohene Sklaven. Einer davon war Frederick Douglass, der im liberalen New Bedford, wo schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein afroamerikanisches Viertel, die „Abolition Row“ (7th Street, Foto), entstanden war, seine Karriere begann.

Hartes Geschäft: der Walfang

New Bedfords Hauptattraktion ist jedoch der New Bedford Whaling National Historical Park (www.nps.gov/nebe), wo heute Walfang- und Textilindustrie, Fischerei und Freiheitskampf aufs Engste verknüpft sind. Um 1780 war das erste Walfangboot, im Besitz eines Quäkers namens William Rotch Jr., vom damaligen Bedford Village ausgelaufen – der Startschuss, der New Bedford im 19. Jh. zum größten Walfanghafen und zur reichsten Stadt weltweit machte.
Durch den historischen Bezirk gibt es interessante kostenlose Ranger-Touren. An der Route zu sehen sind historische Gebäude, Wandbilder (wie obiges) und Institutionen, wie das von Melville erwähnte Gebetshaus, das Seamen’s Bethel, in dem Seeleute seit 1832 beteten, ehe sie in See stachen. Das alte U.S. Custom House diente einst der Registrierung und stammt vom berühmten Architekten Robert Mills, der auch das Washington Monument in der Hauptstadt Washington schuf.

Portugiesen – deren Einfluss noch heute an der kulinarischen und kulturellen Szene zu spüren ist – und Immigranten aus den der Westküste Afrikas vorgelagerten Kap Verdischen Inseln waren einst maßgeblich am Walfang beteiligt, dessen Hauptziel die Gewinnung des wertvollen Walöls war, das v. a. zur Beleuchtung diente und in Fässern weiter verschifft wurde (wie es das historische Foto vom Ferry Terminal zeigt). Übrigens: 1841 begab sich Melville zu Recherchen für „Moby-Dick“ an Bord der „Acushnet“ und erlebte aus eigener Anschauung, wie hart und gefährlich die Arbeit war.

An den Walfang erinnert heute das New Bedford Whaling Museum (www.whalingmuseum.org). In der Lobby hängen beeindruckende Walskelette von der Decke, es gibt ein begehbares Walfangboot in halber Originalgröße, voll ausgestattet, Scrimshaws (Walknochen-Schnitzereien) in großer Zahl, Schiffsmodelle und maritime Ausstellungen, vor allem geht es jedoch um den Walfang und den Handel mit Walöl. Aber auch die Bedrohung der Wale in der heutigen Zeit kommt nicht zu kurz.


Von der Dachterrasse des Museums bietet sich zudem ein grandioser Blick (Titelbild) auf die historische Innenstadt und den Fischer- und Fährhafen und man frägt sich, ob Melville diese Schönheit damals gebührend bewundert hat.

Vom Walöl zu Baumwollstoffen und Fischfang

Die Stadt florierte und Bootseigner, Kapitäne und Händler ließen sich prächtige Häuser errichten. Als das Walöl von anderen Brennstoffen abgelöst wurde, übernahm um Mitte des 19. Jh. die Textilindustrie die Führungsposition. New Bedford wurde berühmt für Baumwollgarne und -textilien. Um 1920 gab es rund 70 Textilfabriken in der Stadt – einige davon werden noch heute, z. B. als Antiquitäten-Malls, genutzt –, die mehr als 40.000 Menschen beschäftigten. Daneben spielte stets der Fischfang eine wichtige Rolle und bis heute befindet sich in New Bedford einer der größten aktiven Fischereihäfen in den USA. Doch auch für den Fährbetrieb ist New Bedford immer noch bedeutend, laufen von hier beispielsweise regelmäßig Fähren nach Block Island und Schnellfähren nach Martha’s Vineyard aus.
Heute präsentiert sich die Innenstadt mit dem Seaport Cultural District enorm bunt und vielseitig, mit lebhafter Kunst- und Kulturszene, mit Antiquitätenläden, Art Museum, Bühnen, Seaport Art Walk und Musikfestivals. New Bedfords Downtown hat Restaurants, Cafés und Pubs – wie die Moby Dick Brewing Company – in Hülle und Fülle zu bieten und die Lokale sind bekannt für frischen Fisch und Meeresfrüchte direkt vom Fischerboot. An der Waterfront kann man einen Blick auf die Fänge werfen: Scallops (Jakobsmuscheln) zählen hier zu den Delikatessen, aber auch Hummer, Miesmuscheln, Shrimps und eine Vielzahl an Fischen werden angeliefert.

Sturmsicherer Hafen mit neuer Promenade

Zum Picknick oder zur Erholung lädt New Bedfords South End ein – die Südspitze der Halbinsel, auch als „Clark’s Point“ bezeichnet, die sich in die Buzzards Bay hineinschiebt. Hier befindet sich der  Fort Taber/Fort Rodman Park, einst Befestigungsanlagen aus der Mitte des 19. Jhs. zum Schutz des Hafens und heute ein beliebtes Naherholungsgebiet. Erst im Frühjahr wurde eine neue Promenade (Foto) eröffnet. Sie ergänzt den Waterfront Path entlang der Waterfront, ideal zum Radfahren oder Spazierengehen, und verläuft auf dem Scheitel des Hurricane-Damms, der 1966 eingeweiht wurde. Er soll den Hafen und die Stadt bei näherndem Sturm sichern. Da er komplett geschlossen werden kann, bietet New Bedford einen sicheren Hafen für das gesamte Umland.

PRAKTISCHE TIPPS
• Informationen: Destination New Bedford, Fisherman’s Wharf/Pier 3, http://destinationnewbedford.org, oder New Bedford Whaling National Historical Park Visitor Center (www.nps.gov/nebe/planyourvisit/basicinfo.htm), 33 William Street.
• Übernachten: Direkt am Fischer- und Fährhafen lässt sich gut im modernen Fairfield Inn & Suites by Marriott übernachten: www.marriott.de/hotels/travel/ewbfi-fairfield-inn-and-suites-new-bedford.
• Exkursion: Vom Seastreak Ferry Terminal geht es in knapp einer Stunde von New Bedford hinüber nach Martha’s Vineyard (https://seastreak.com).
Moby Dick Brewing Co., 16 S. Water St.,  https://mobydickbrewing.com, wo die hausgebrauten Ales und Lagers eine ideale Begleitung zu Fish & Chips oder Scallops darstellen.
Tia Maria’s, 42 N. Water St., ist mehr eine Bäckerei und ideal zu Frühstück oder Lunch, doch an Wochenenden wird auch Dinner serviert, v. a. portugiesische Gerichte. Mehr davon gibt es im North End, entlang der Acushnet Avenue. Dort ist für besonders große kulinarische Vielfalt gesorgt.

©  Text & Fotos: M. Brinke – P. Kränzle, mit Ausnahme des Fotos vom Harborwalk (Foto: Mass Vacation).

Ausführliche Infos zu den geschichtsträchtigen Staaten an der amerikanischen Ostküste bieten die Reiseführer USA-Ostküste und USA-Nordosten (auch als ebook) von Margit Brinke und Peter Kränzle.

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