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USA-Buchtipp: Charles C. Mann, Kolumbus’ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Planzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen

Ein besonderer Lesetipp von den Autoren mehrerer USA-Bände, darunter „USA-Westen“ und „USA-Ostküste“, Margit Brinke – Peter Kränzle, Oktober 2017

Inhalte

Die Globalisierung, der weltweite Austausch von Menschen, Tieren, Pflanzen, Waren und Rohstoffen, aber auch von Bakterien und Krankheiten, ist derzeit in aller Munde und gilt für viele als eine Hauptproblematik im 20. und 21. Jahrhundert. Da empfiehlt sich die Lektüre von Charles C. Manns Buch „Kolumbus‘ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen“. Das englische Original war 2011 mit dem Titel „1493: Uncovering the New World Columbus Created“ erschienen, die deutsche Übersetzung 2013 bei Rowohlt.
Auf über 800 Seiten erläutert der preisgekrönte Wissenschaftsjournalist Mann, der u. a. für The Atlantic Monthly, Science, Geo, Stern, New York Times und Washington Post schreibt und in Amherst/Massachusetts lebt, warum die Globalisierung schon mit den Entdeckungsfahrten des Kolumbus Ende des 15. Jahrhunderts ihren Anfang nahm.

Kolumbus und seine Folgen

Queen Elizabeth II

Die Entdeckung Amerikas war das folgenreichste Ereignis seit dem Aussterben der Dinosaurier. Millionen Jahre lang war Amerika vom Rest der Welt weitgehend isoliert gewesen, seit Kolumbus trat es in einen Austausch mit dem Rest der Welt, und der Rest der Welt mit Amerika. Menschen und Pflanzen, Tiere und Krankheiten gelangten plötzlich per Schiff an neue Ziele und bewirkten, dass nichts blieb, wie es war. Der Autor berichtet in seinem umfangreichen Werk, wie mit der sog. Entdeckung Amerikas durch Kolumbus ab 1492 eine neue Welt entstand.
Charles C. Manns schreibt über die diversen Wechselwirkungen und erklärt, wie es dazu kam, dass Kolumbus nicht eine Welt entdeckte, sondern mithalf, eine neue zu schaffen. Er greift die Idee vom „kolumbischen Austausch“ auf, die der Historiker Alfred Crosby in den 1970er-Jahren erstmals vortrug. Es war Crosby gewesen, der Mann anregte, das Thema zu vertiefen und einem breiten Publikum bekannt zu machen.


Akribische Recherche und Zuhilfenahme der neuesten Erkenntnisse aller beteiligten Wissenschaftszweige, von der Anthropologie über die Biologie bis zur Geschichtswissenschaft, liegen dem Werk zugrunde. So erzählt Mann, wie zuvor unbekannte Regenwurmarten als „blinde Passagiere“ in der Beilast der Segelschiffe im 17. Jahrhundert über den Atlantik nach Amerika kamen und seither den Kontinent „umgraben“. Andererseits wurden die in Europa einst unbekannten Kartoffeln und Tomaten bald zu unverzichtbaren Nahrungsmitteln, wie die Süßkartoffel in Asien. Kaffee, Baumwolle und Zuckerrohr aus Asien traten dagegen in Amerika rasch ihren Siegeszug an.

Globaler Austausch mit Wechselwirkungen

Zuckerfabrik in Lousiana

Doch dieser Austausch war von Anfang an auch ein Kampf um Macht. Abermillionen Menschen kamen durch eingeschleppte Viren, Sklaverei oder das Schuften in den amerikanischen Silberminen, die für Chinas Münzwesen den Rohstoff lieferten, ums Leben. Der „kolumbische Austausch“ offenbarte sich auch darin, dass europäische Bakterien und Viren Millionen Indianer töteten, was Folgen hatte: Da in Amerika nicht mehr genug Menschen lebten um die Wälder wie vormals durch Brandrodung zu domestizieren, verringerte sich der Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre und das Klima wurde kühler. Zudem fehlten auf den von Europäern auf dem amerikanischen Kontinent aufgebauten Zuckerrohr- oder Tabakplantagen plötzlich die nötigen Arbeitskräfte. Dieses Problem löste der Sklavenhandel, die importierten westafrikanischen Sklaven, die wiederum, anders als Europäer oder Indianer, immun gegen Malaria oder Gelbfieber waren.
Mit jedem Produkt, das die Reise um den Globus antrat – Tabak, Kartoffel, Kautschuk oder Silber –, verbreiten sich zugleich ungewollte Akteure wie Gelbfieber- oder Malaria-Erreger. Die Globalisierung ist daher auch eine Geschichte der Zufälle. Zudem zeigt der „kolumbische Austausch“, dass die „neue Welt“ sich dem expandierenden Kontinent Europa ökologisch angleicht. Die nachkolumbianische Epoche nennt Mann deshalb auch „Homogenozän“.

Fesselnde Lektüre über Globalisierung

Vor- und Nachteile bedingen einander, Kultur verändert die Natur und diese wiederum die Politik und vice versa. Auf über 800 Seiten stellt Mann diese Verflechtungen dar, an deren Anfang Kolumbus’ Ankunft in Amerika steht. Nach einer Einleitung, in der Mann die Epoche des „Homogenozän“ erläutert, geht es in vier Hauptkapiteln um den Austausch über den Atlantik („Atlantikreisen“), über den Pazifik („Pazifikreisen“), um das Thema „Europa in der Welt“ und schließlich um „Afrika in der Welt“, mit der Sklaverei als zentralem Thema. Dabei wird auch die Rolle der Millionen entlaufener Sklaven gewürdigt, die zur Neubesiedelung Amerikas beigetragen haben.
Wie der „kolumbische Austausch“ Natur, Gesellschaften und Machtverhältnisse auf der Erde verändert hat und wie er noch heute unsere moderne Welt prägt, wird nach Lektüre dieses Buches klar. Es ist zudem die ideale Ergänzung zu Manns zweitem, wegweisenden Werk mit dem Titel „Amerika vor Kolumbus“ (siehe Iwanowski’s Blog vom 19. Mai 2017).

INFO:
Charles C. Mann, Kolumbus‘ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen, Rowohlt Verlag, Hamburg, 2013; deutsche Erstausgabe, übersetzt von Hainer Kober, 816 Seiten, gebunden, 34,95 €
• Weitere Infos: www.rowohlt.de/autor/charles-c-mann.html

© Text: M. Brinke-P. Kränzle, Fotos: Rowohlt Verlag (Buchcover), NC Tourism (Schiff Queen Elizabeth II), Lewis & Clark Center Washburn/ND (Karl Bodmer-Indianerbild), M. Brinke (übrige).

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