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Attica Locke, Bluebird, Bluebird – Ein Doppelmord in Texas’ Bayous

Ein Krimitipp von den Autoren mehrerer USA-Reisehandbücher bei Iwanowski’s, u.a. des Bandes „USA-Texas“, Dr. Margit Brinke – Dr. Peter Kränzle, Juli 2019

Inhalte

Der Titel des Buchs stammt aus einem Song des Blues-Musikers John Lee Hooker: „Bluebird, Bluebird, take this letter down south for me“. Ebenso melancholisch beginnt auch der Kriminalroman von Attica Locke: Auf einem Friedhof im Shelby County im Osten von Texas, an der Grenze zu Louisiana, besucht die alte Geneva Sweet das Grab ihres Mannes, des Blues-Musikers Joe Swetey Pie Sweet, und ihres Sohns Lil‘ Joe, packt ein Picknick aus und hört Muddy Waters „Have you ever been walking, walking down that ol‘ lonesome road“. Und, um bei der Musik zu bleiben, Eine Gitarre spielt letztendlich auch eine wichtige Rolle in dem Roman.
Darren Mathews ist Texas Ranger, Mitglied jener legendären 1823 gegründeten Spezial-Polizeieinheit in Texas. Man kennt sie aus der 1993 bis 2001 ausgestrahlten TV-Serie „Walker, Texas Ranger“ mit Chuck Norris in der Hauptrolle, dem übrigens mit James Trivette (Clarence Gilyard, Jr.) ebenfalls ein schwarzer Ranger zur Seite gestellt wurde – wie Mathews, die Hauptperson im Buch.
Dieser studierte zwei Jahre Jura in Princeton, ehe er abrupt sein Studium abbrach. Anlass war eine wahre Begebenheit: Der Afroamerikaner James Byrd Jr. wurde 1998 in Jasper, Texas, von drei weißen Männern an einem Pick-up über eine Asphaltstraße gezogen, bis ihm der Kopf abgerissen wurde. Ein Wendepunkt für Mathews, der daraufhin nach Texas zurückkehrt, um dem Beispiel eines Onkels zu folgen und Texas Ranger zu werden. Es gelingt ihm sogar, eine Spezialabteilung für Hassverbrechen zu initiieren, wobei über Rassismus-Verbrechen selbst bei dieser speziellen Polizeieinheit anscheinend nur ungern gesprochen wird.

Lark, Shelby County

Auf Bitte eines auf seine Karriere bedachten FBI-Freundes namens Greg fährt Darren, obwohl eigentlich wegen eines anderen rassistischen Verbrechens vom Dienst suspendiert, eines Tages nach Osttexas, ins Shelby County, in das fiktive Nest Lark, um sich „umzusehen“. Dort scheint sich auch 40 Jahre nach „Jim Crow“so gut wie nichts verändert zu haben. Rassismus ist allgegenwärtig, hier ein Café mit dem Namen „Kay’s Kountry Kitchen“ – geschrieben mit drei K! – dort ein dubioser Sheriff, der die Aktivitäten der Arischen Bruderschaft leugnet und versucht, weiße Verdächtige zu decken. Rassistisch motivierte Verbrechen gibt es für ihn nicht.
Doch was im Roman zunächst wie ein doppeltes Hassverbrechen aussieht, entpuppt sich als ein komplizierter Fall – ein Fall für Mathews. Eines der Opfer, halbtot geprügelt und im Bayou ertränkt, heißt Michael Wright, ein schwarzer Anwalt aus Chicago. Die zweite Tote, Missy Dale, war eine unglücklich verheiratete weiße Kellnerin. Sie wurde erwürgt und ebenfalls aus dem Fluss gezogen. All das entspricht nicht dem üblichen Schema im ländlichen Texas, wo eher auf den Mord einer/eines Weißen Rache an einem Schwarzer geübt wird.

Schwarz und Weiß

Rassenkonflikte bilden den roten Faden in „Bluebird, Bluebird“. Man trifft sich am Hwy. 59, jener Straße, die nach Norden führt und für viele Schwarze aus dem Süden der Fluchtweg in ein besseres Leben war. Während die Schwarzen in Geneva Sweets Café, einem small-town diner, in dem „colored folks“ willkommen geheißen werden, frequentieren die Weißen Jeffs Juice House. Diese Bar wird im Roman etwas irreführend „Eishaus“ genannt.

Die Bezeichnung ice house hat jedoch nichts mit Kühlhaus oder Eisdiele zu tun, sondern bezeichnete ursprünglich einen beer joint, der sich teils im Freien, teils unter Dach befand und wo Eisblöcke gelagert wurden, die es ermöglichten, Getränke kühl zu halten. Das Eishaus in Lark ist auch Treff der „Aryan Brotherhood of Texas“ (ABT) und der Geschäftsführer gehört dieser rassistischen, neonazistischen Gang an, die auch im Drogen- und Waffenhandel aktiv ist – „der Klan mit Geld und halbautomatischen Waffen“.
Beide Besitzer, Geneva Sweet und Wally Jefferson, haben dennoch, wie viele andere im Dorf, langjährige Verbindungen, auch über ihre Hautfarben hinaus. Allerdings ist Geneva für Wally ein rotes Tuch, da sein Vater Geneva Land zugestanden und damit das Lokal ermöglicht hat. Die tote Missy wiederum hatte ein Kind von Geneva’s umgebrachten Sohn.

Komplizierter Fall

Die lokale Polizeimacht, Sheriff Parker van Horn, ermittelt sehr zögerlich und einseitig. Darren Mathews hingegen leckt Blut, denn genau solche Hassverbrechen und die Beteiligung der ABT sind Hauptgründe, weswegen er Texas Ranger geworden ist. Doch wo sonst die Spezialeinheit der Texas Ranger immer mit höchstem Respekt behandelt wird, hat der dunkelhäutige Mathews keinen leichten Stand, er ist unerwünscht: „Ranger Mathews, I’m gon’ be clear about this from the top. I don’t want you here, and I didn’t ask for you to be here […]“ – so der Sheriff gleich zu Anfang.
Matthews bemüht sich um Neutralität und versucht immer dem Ehrenkodex und den Regeln des Südens zu folgen, doch hinter Jeff’s Juice House, in dem sich die Rednecks treffen, wird er offen vom Ehemann der toten Missy mit der Waffe bedroht, weil er ein Schwarzer ist, der sich in die Angelegenheiten von Weißen einmischt. Einen Schwarzen umzubringen ist nebenbei Teil der Aufnahmeprüfung in die Bruderschaft.

Jim Crow ist nicht tot

Im Mittelpunkt dieses Kriminalromans der afroamerikanischen, aus Texas stammenden Autorin Attica Locke steht das Leben von Schwarzen im Süden der USA, konkret in Texas. Solidarität unter Schwarzen ist dabei nicht automatisch vorgegeben und das Verhältnis des Rangers zu Geneva ebenso wie zur Witwe des Ermordeten gestaltet sich als problematisch. Was Mathews mit dem Toten verbindet, sind hingegen nicht nur Hautfarbe und Alter, sondern dass beide aus einer kleinen Stadt in Osttexas stammen und dorthin zurückgekehrt waren, nachdem sie beide in den Norden gegangen sind, um in Princeton Jura zu studieren. Der Anwalt kam allerdings nur, um eine Gitarre zurückzubringen.
Mathews kämpft an vorderster Front gegen den Rassismus, hintergründig spielen auch Probleme mit der Ehefrau und Mutter hinein. Während die Familie väterlicherseits reich war und Darren nach dem Tod des Vaters bei dessen Brüdern aufwuchs und die bestmögliche Schulbildung genoss, lebt seine Mutter, eine Alkoholikerin, bis zuletzt armselig in einem Trailer. Das Ende des Buches nimmt dann auch die Mutter in Anspruch, die ihren Sohn mit Beweismaterial unter Druck setzt, als dieser gerade wieder seine Texas-Ranger-Würde zurückerlangt hat.

Viertes Buch von Attica Locke

Attica Locke wendet sich nach Black Water Rising (2009) und Pleasantville (2015) – beide Krimis mit dem texanischen Rechtsanwalt Jay Porter in der Hauptrolle –, und The Cutting Season (2012), und neben ihrer Arbeit an der TV-Show Empire in ihrem vierten Roman, der 2017 auf Englisch erschien, den ländlichen, weißen Texanern und ihrer rassistischen Scheinheiligkeit zu. Sie bekam für Bluebird, Bluebird, den renommierten Edgar Award Winner 2018 und den Ian Fleming Steel Dagger 2018 verliehen. Bisher wurde nur dieses Werk Lockes auf Deutsch übersetzt und ist kürzlich im Polar Verlag erschienen.
„Bluebird, Bluebird“ wurde von Locke im Jahr 2016 geschrieben, während der Regierungszeit Barack Obamas. Erschienen ist ihr Roman 2017, als in den USA unter Trump das tatsächliche Ausmaß an Rassenhass zu Tage trat. Locke wirft einen scharfen, analytischen Blick auf Amerikas Süden, sie bietet keine schlichten Antworten, sondern stellt grundlegende Fragen über Vorurteile und Rassismus.

INFO
Attica Locke: Bluebird, Bluebird.
Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag, Stuttgart 2019.
330 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-945133-71-2.

© Text: Dr. M. Brinke – Dr. P. Kränzle
© Fotos: M. Brinke mit Ausnahme Buchcover: © Polar Verlag Stuttgart und Autorenfoto ©Mel Melcon, LA / Polar Verlag.

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