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Weihnachten auf … Mallorca: Wenn Sybille den Untergang besingt

Von Jürgen Bungert

Weihnachten ohne Sybille ist für einen Mallorquiner unvollständig. Der Gesang der Sybille erklingt Heiligabend in allen Kirchen Mallorcas in der Mitternachtsmesse. Gesungen wird das Lied von einem Mädchen, das mit einem Schwert vor den Altar tritt und mit gregorianischem Singsang vom Jüngsten Gericht erzählt. Eine wunderschöne Melodie, aber der Inhalt ist eine Ansammlung wüster Drohungen gegen die Menschheit. Der mittelalterliche Kirchengesang ist nur noch auf Mallorca zu hören. Besonders eindrucksvoll wird er zur Christmesse in der Kathedrale von Palma und im Kloster Lluc dargeboten. Hier eine Kostprobe.
Der ursprünglich gregorianische Gesang stammt aus dem Jahre 999. Urheberin soll eine Sybille von Erythrai sein, die den lateinischen Text „Dies Irae“ (Tag des Gerichts“) in den Messen vortrug. Der Legende nach soll Sybille bei ihren Auftritten ihren Zuhörern eine rabenschwarze Zukunft vorausgesagt haben. Eine Art Propheten-Show, die sehr populär war. Der Kirche wurde allerdings die heidnische Veranstaltung im Laufe der Jahre zu viel des Spektakels. Sie verbot die Aufführungen. 1899 wurde in der Kathedrale von Toledo letztmals das Lied bei einer Messe auf dem spanischen Festland gesungen, dann griff auch hier das Verbot. Anders auf Mallorca. Die Gläubigen wollten unbedingt an „Cant de la Sibil.la“ festhalten. Nur im unmittelbaren Einflussbereich des Bischofs in der Kathedrale wurde einige Zeit ohne Sybille geweihnachtet. In den Dörfern hingegen wagte es kaum ein Pfarrer, eine Christmette ohne dieses auf mittlerweile katalanisch gesungene Lied zu halten. Die Insellage hat wohl dazu beigetragen, dass Mallorca den päpstlichen Willen ignorieren konnte.
2010 wurde der Gesang der Sybille zum Weltkulturerbe ernannt.

© Jürgen Bungert, Autor des Iwanowski 101 Mallorca – Geheimtipps und Top-Ziele

© Foto: pixabay

 

 

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