Kommentare 0

Reisetipp für Amerikas Ostküste: Martha’s Vineyard – „Land zwischen den Fluten“

Unterwegs in New England – von den Autoren des Bandes „USA-Nordosten“ und „USA-Ostküste“, Dr. Margit Brinke – Dr. Peter Kränzle, Juni 2017

Als 1602 Bartholomew Gosnold, britischer Forscher, Abenteurer und Mitbegründer der Virginia Company – die 1607 mit Jamestown die erste britische Kolonie Nordamerikas gründete –, erstmals die Insel vor der Südküste Cape Cods (im heutigen Massachusetts) betrat, fiel ihm zunächst der wilde Wein auf. Er nannte sie daher nach seiner Tochter „Martha’s Vineyard“, kurz „MV“ oder „Vineyard“. Bei den Wampanoag-Indianern, die hier schon viel länger lebten, hieß die Insel „Noepe“, „Land zwischen den Fluten“. 1642 entstand die erste europäische Siedlung, das heutige Edgartown, und seither lebten Siedler und Indianer friedlich zusammen.

Im 19. Jh. wurde die Insel wie das benachbarte Nantucket zu einem Zentrum des Walfangs und der Walölindustrie. Unter den Siedlern befanden sich im 18. und 19. Jh. auch Einwanderer aus England, die aufgrund einer genetischen Eigenart einen hohen Anteil an Gehörlosen hervorbrachten. Deshalb wurde hier schon in der ersten Hälfte des 19. Jh. eine spezielle Gehörlosen-Gebärdensprache entwickelt, die als Martha’s Vineyard Sign Language bekannt und zum Vorreiter für die heute gebräuchliche amerikanische Gebärdensprache (ASL) wurde.

Traditionelle „Sommerfrische“ an der Atlantikküste

Daneben war die Insel traditionell eine beliebte Sommerfrische. Heute liegt die permanente Einwohnerzahl bei gut 15.000, im Sommer tummeln sich hier jedoch über 100.000 Menschen. Beliebt bei Ausflüglern und Urlaubern ist die Insel auch, weil sie von New Bedford (siehe früherer Blog-Beitrag) und auch von New York aus gut und schnell mit Schnellfähren von Seastreak oder aber mit Autofähren von Cape Cod aus erreichbar ist.Eigentlich braucht man auf Martha’s Vineyard kein Auto: Einerseits gibt es ein gut ausgebautes Fahrradverleihnetz und andererseits ein dichtes öffentliches Bussystem.

Angekommen in Oak Bluffs, dem saisonal bedienten Fährhafen, glaubt man in eine andere Welt einzutauchen, prall gefüllt mit Geschichte und Geschichten, Kultur und geprägt von einer robusten natürlichen Schönheit.

Natürlich war und ist Martha’s Vineyard ein Anziehungspunkt für Reiche und Politiker – sogar Präsidenten wie die Kennedys, Clintons oder Obamas besitzen hier Häuser – für berühmte Musiker, Schauspieler und Künstler. Zudem diente und dient die Insel als Filmkulisse, berühmtester Movie war „Der Weiße Hai“.

Bodenständig statt mondän – Martha’s Vineyard

Und dennoch wirkt die Insel nicht exklusiv oder mondän. Ihre Wurzeln reichen zurück auf Landwirtschaft und Walfang und es gibt ausgedehnte, unter Schutz stehende Wälder und lange Sandstrände. Noch heute spielt der Fischfang eine große Rolle und die Lokale auf der Insel sind bekannt für „farm-to-table“ – für Fisch, Meeresfrüchte, aber auch für Gemüse und Fleisch vom Boot bzw. der Farm, frisch auf den Tisch. Die Läden in den kleinen Städtchen brüsten sich damit „einzigartig“ zu sein und sie sind es tatsächlich: Es gibt keine Kettenshops oder – lokale auf MV und erstaunlich wenige Souvenirläden, dafür Gourmetshops, Boutiquen, Antiquitätenläden und Galerien.
Es gibt drei Küstenorte auf der Insel – Oak Bluffs, Vineyard Haven und Edgartown –, darüber hinaus drei Inlandsgemeinden und drei erhaltene historische Leuchttürme, endlose Strände und mehrere Fischerei- und Yachthäfen. Über ein Drittel der Insel ist als „State Forest“ gesetzlich vor Bebauung geschützt und zur Einsamkeit und Ruhe trägt bei, dass immer noch ein Großteil der luxuriösen Stadthäuser mit ihren prächtigen Gärten oder der in den Wäldern verborgenen Villen als klassische „Summer Homes“ nur einen Teil des Jahres bewohnt werden.

Bunte Cottages in der Künstlerkommune Oak Bluffs

Oak Bluffs ist eine Künstlerkommune und bekannt für ihre bunten „Gingerbread Cottages“ (s. Fotos), Holzhäuschen im verspielten viktorianischen Stil, die rings um ein Versammlungsplatz, den Tabernacle, angeordnet sind. Diese Siedlung, „The Campground“, oder offiziell „Wesleyan Grove“ genannt, war zunächst als Treff der Methodisten im Sommer für Openair-Meetings mit Zeltlager entstanden. Im Laufe der Zeit wurde daraus eine feste Siedlung mit kleinen Häuschen. Heute sind die Cottages als Immobilien hoch begehrt und ein Teil davon wird im Sommer an Gäste vermietet.
Circuit Avenue heißt die umtriebige Hauptstraße und hier, wie am Hafen, spielt sich das Leben ab. Eine weitere Besonderheit zeichnet Oak Bluffs aus: Schon vom frühen 20. Jh. an war die Stadt bei wohlhabenden Afroamerikanern als „Sommerfrische“ beliebt und noch heute ist man auf die tolerante Haltung und die ethnische Diversität der Ortschaft stolz. Schwarze und weiße Gesellschaft existierten hier freundschaftlich nebeneinander und gingen mit einem großen portugiesischen Bevölkerungsteil eine fruchtbare Symbiose ein.

Kulinarische Leckereien und Insel-Touren

Tisbury nennt man den Großraum zwischen Oak Bluffs und dem benachbarten Vineyard Heaven, der ganzjährig aktive Hafen. „Holmes Hole“ hieß die kleine Stadt zunächst wegen ihres unbeliebten Hafens, 1875 benannte man den Ort ins schmeichelhaftere „Vineyard Haven“ um.
Martha’s Vineyard gilt als besonders familienfreundliches Städtchen und ist zudem Heimat des modernen Wahrzeichens der Insel, des „Black Dog“. Es geht auf die gleichnamige Tavern am Hafen zurück, 1971 das erste ganzjährig geöffnete Lokal im Ort. Der schwarze Labrador des Wirtes, Captain Robert Douglas, schaffte es nicht nur zum Maskottchen, sondern wird inzwischen als eigenes Logo vermarktet. Cafés, eine Bakery und ein Souvenirshop gleichen Namens sind dazugekommen und es gibt sogar Kinder- und Kochbücher des „Black Dog“.
Überhaupt ist in Martha’s Vineyard kulinarisch viel geboten und das Fremdenverkehrsamt veranstaltet kulinarische Touren: „Sample Martha’s Vineyard“. Von gefüllten Venusmuscheln (Quahaugs) in der „Black Dog Tavern“ über TexMex-Happen im Waterside Market bis hin zu Bernie’s Home Made Ice Cream, Murdick’s Fudge oder Le Roux Gourmet (einem Feinkostladen) lohnt sich diese Tour für jeden Besucher.

Unvergleichlicher Sonnenuntergang in Menemsha

Im Westen der Insel liegt West Tisbury, das landwirtschaftliche Zentrum der Insel und die Gemeinde Chilmark, mit weitläufig verstreuten, hinter Bäumen versteckten Häusern. Offensichtlich lebt hier im Hinterland, wer es geschafft hat und nur noch die Ruhe genießen möchte.
Teil der Gemeinde ist das Fischerdorf Menemsha, direkt am Atlantik gelegen, mit kleinen Fischmärkten in rustikalen Hütten. Hier gibt es Frischfisch und Meeresfrüchte zum Kaufen oder als Imbiss – man genießt sie im Freien, auf alten Lobsterkäfigen sitzend. Eine besondere Spezialität sind die warmen „Lobster Rolls“ oder gefüllte Jakobsmuscheln – bevorzugt bei Sonnenuntergang. Hier befindet sich nämlich der einzige Strand an der Ostküste, wo man einen Sonnenuntergang über dem Atlantik erleben kann. Das Gay Head Lighthouse von 1856 markiert die äußerste Westspitze der Insel. Hier ist heute noch der Wampanoag Tribe zu Hause, der im Ort Aquinnah am Gay Head ein kleines Kulturzentrum betreibt.

Schmucker Hauptort Edgartown

Hauptort mit rund 4.000 Einwohnern und älteste Gemeinde auf Martha’s Vineyard ist Edgartown im Ostteil der Insel. 1642 gegründet, ist der Ort bekannt für seine Walfangtradition, hat aber auch kulturell Einiges zu bieten, z. B. das mehrteilige Martha’s Vineyard Museum. Zudem gibt es sehenswerte historische Gebäude, wie die Old Whaling Church, die Town Hall oder die prächtigen Privathäuser der einstigen Walfänger-Kapitäne und Händler.

Um den kleinen Hafen herum spielt sich das Leben ab und von hier bringt eine kleine Fähre auch Autos, Radler und Fußgänger die wenigen Meter hinüber zum benachbarten „Chappy“, wie die Einheimischen das kleine Chappaquiddick Island im Osten nennen.


Heute leben hier nur etwa 170 Menschen – traurige Berühmtheit erlangte die Insel durch den Verkehrsunfall von Edward Kennedy 1969, bei dem eine Frau ums Leben kam.

Klein aber fein – Hob Knob Boutique Hotel

Zwischen den historischen Häusern, großteils von üppig blühenden Gärten umgeben, tritt das Hob Knob Boutique Hotel fast bescheiden in den Hintergrund. Architektonisch eher unauffällig, jedoch von einer großzügigen, begrünten Veranda umgeben, verbirgt sich im Inneren ein kleines aber höchst feines und gemütliches Hotel mit perfektem Service, Wellness-Angebot und hervorragend ausgestatteten Zimmern. Von „Afternoon tea“ mit Käse und Portwein bis zum Gourmet-Frühstück à la carte werden Gäste hier bestens umsorgt.

Nur wenige Schritte entfernt, könnte man den Abend in einer der beiden Kleinbrauereien ausklingen lassen: Während Offshore Ale in Oak Bluffs bei den Einheimischen wegen der Bar als Treff dient, überzeugt Bad Martha’s Beer mit ungewöhnlichen Bieren wie dem Vineyard Ale oder dem 508 IPA, deren besonderer Geschmack auch den im eigenen Garten wachsenden Weinblättern zu verdanken ist.


INFOS:
Martha’s Vineyard Chamber of Commerce, 24 Beach Road, Vineyard Haven, Tel. (508) 693-0085 oder 1 (800) 505-4815, www.mvy.com. Veranstalter der kulinarischen „Sample MV“-Touren.
Hob Knob Boutique Hotel, www.hobknob.com, 128 Main St., Edgartown, Tel. (508) 627-9510
Bad Martha’s Beer, www.badmarthabeer.com, 270 Upper Main St., Edgartown
Offshore Ale Co. Brew-Pub, http://offshoreale.com, 30 Kennebec Ave., Oak Bluffs
Seastreak Ferries: https://seastreak.com

©  Text & Fotos: M. Brinke – P. Kränzle, mit Ausnahme folgender Fotos: Island mit Cliffs (MVChamber, M. Blanchard), Indianer (Maine Office of Tourism), Oak Bluffs Harbor (MVChamber, L. Gould).

usa_ostkueste_2017_low_rgb_72dpiAusführliche Infos zu den geschichtsträchtigen Staaten an der amerikanischen Ostküste und interessante Routenvorschläge für Selbstfahrer bietet der Reiseführer USA-Ostküste (auch als ebook) von Margit Brinke und Peter Kränzle.

Schreiben Sie eine Antwort


Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.