Kommentare 0

Berlin: Wo einst eine der größten Synagogen stand – Das Jüdische Denkmal an der Levetzowstraße

Entlang eines Bürgersteigs steht er, unbeweglich: Ein alter Eisenbahnwagon, drinnen gedrungene, stilisierte, menschenähnliche Gestalten – aus Stein herausgehauen. Man muss sich schon ducken, um über eine Rampe den Wagon zu erreichen und das Innere zu erleben. Ist man einmal drin, so wird man von steinernen Figuren umgeben. Es ist düster, beklemmend, bedrückend. So belastend kann Geschichte sein! Durch die Wagonluken sieht man draußen die Sonne, doch innen ist man eingesperrt. Das alles war lebendiger Alltag vor etwa 70 Jahren, als jüdische Mitbürger aus ihren Wohnungen gezerrt wurden, um in Konzentrationslager verschleppt zu werden, für die allermeisten das sichere Ende.

Nachts kam die Gestapo und holte die jüdischen Familien aus ihren Häusern

Eisenbahnwagon mit bedrückendem Innern

Eisenbahnwagon mit bedrückendem Innern

An dieser Stelle hier an der Levetzowstraße/Ecke Jagowstraße stand einst eine der größten Synagogen Berlins für über 2.000 Besucher. Am 9. November 1938, der Progromnacht, wurde sie von Nazis in Brand gesetzt, aber nicht zerstört. Sie diente daher ab 1941 als Lager für zu deportierende Juden, bis zu 1.000 Menschen wurden hier zusammengetrieben. Was für ein unvorstellbar grausamer Nutzungswandel eines einst prächtigen Gotteshauses. Die jüdische Gemeinde musste für die Verpflegung aufkommen… Man stelle sich vor: Meistens spät abends oder während der Nacht riss die Gestapo jüdische Familien aus ihren Wohnungen und Häusern. Doch zuvor mussten sie eine Verzichterklärung auf ihren gesamten Besitz unterschreiben, der an den Staat überging. Was sie persönlich mitnahmen, wurde ihnen dann im Sammellager abgenommen. Kurze Zeit später ging es zunächst zum Bahnhof Grunewald, wo die Gefangenen die Wagons der Deutschen Reichsbahn bestiegen. Ab dem Frühjahr 1942 nutze man die Bahnhöfe Moabit und Anhalter Bahnhof – sie waren näher. Und angeblich hat von all dem der durchschnittliche Deutsche nichts gewusst… obwohl in der Nähe der Synagoge ein frequentiertes Postamt war…

Und niemand will etwas bemerkt haben

Eisenplatte mit den KZ-Transporten

Eisenplatte mit den KZ-Transporten

Von der Synagoge selbst sieht man heute nichts mehr, sie wurde im Krieg zerstört und die Überbleibsel schließlich 1955 niedergerissen und abgetragen. Heute befindet sich hier eine Grünanlage mit Kinderspielplatz. Lange Jahre tat sich an dieser Stelle nichts bis man 1985 beschloss, einen Künstler- Wettbewerb zur Gestaltung eines Mahnmals auszuschreiben. Der Bildhauer Peter Herbrich sowie die Architekten Theseus Bappert und Jürgen Wenzel legten den überzeugendsten Entwurf vor. 1988 erfolgte dann die Einweihung, etwa am 50. Jahrestag der Pogromnacht. Zentral am Bürgersteig steht ein Waggon, in dem jüdische Mitbürger geduckt stehen. Man erreicht ihn über eine Laderampe, wo auch eine Gruppe Gefangener dargestellt ist. In den Wagon kann man, wenn man sich bückt, hineinkriechen. Aus dem Dunkel und zwischen den steinernen Körpern schaut man durch Fensterschlitze nach draußen, ins Licht.

Eine grausame – aber künstlerisch eindrucksvoll gestaltete Dokumentation

Düster und beklemmend

Düster und beklemmend

Wie mag es den Menschen damals ergangen sein, die ab Oktober 1941 in die Vernichtungslager im Osten abtransportiert wurden. Vor der Rampe, mit Blick auf Spielplatz und Wohnhäuser, ist eine schräge hohe Eisenplatte aufgerichtet. In sie sind die einzelnen Transporte in die KZs eingestanzt, der Lichtdurchfall erleichtert das Lesen. Ihre Höhe entspricht der der ehemaligen Synagoge. Eine grausame – aber künstlerisch eindrucksvoll gestaltete Dokumentation. Davor, auf dem Weg zur Rampe, sind in eine Betonplatte gusseiserne Reliefs aller 36 Synagogen Berlins eingelassen. Neben dem „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ am Tiergarten und dem „verlassenen Raum“ am Koppenplatz (Berlin-Mitte) ist dieses Mahnmal ein Muss für jeden geschichtsinteressierten Berlin-Besucher.

Adresse: Mahnmal Levetzowstraße, Levetzowstraße 3, 10555 Berlin, U-Bahn 9 Hansaplatz, Das Denkmal ist jederzeit zugänglich

© Michael Iwanowski, Verleger und Autor im Iwanowski’s Reisebuchverlag

Weitere interessante Reisetipps zu Berlin finden Sie in Iwanowski´s Reiseführer 101 Berlin (auch als ebook erhältlich) und im neu erschienenen Reisehandbuch Berlin mit Potsdam. Der Versand der Bücher innerhalb Deutschlands ist kostenlos.

 

Schreiben Sie eine Antwort


Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.