Ein Lesetipp von den Autoren des Bandes „USA-Ostküste“ u. a. USA-Bände, Margit Brinke – Peter Kränzle, Okt. 2015
Inhalte
Charleston in South Carolina galt einst als „Perle des Alten Südens“, die bereits 1763 „1.100 Wohnhäuser großteils von auffälligem Äußeren und elegant möbliert“ aufweisen konnte, wie in einem zeitgenössischen Reisebericht gerühmt wurde. Kein Wunder, dass noch heute zahlreiche Besucher beeindruckt sind von den imposanten Plantagenhäusern und Stadtvillen. Die Reichtümer, die die Plantagenbesitzer und Kaufleute einst durch den Anbau und Handel mit Baumwolle, Reis und Indigo angehäuft haben, lässt staunen. Es war besonders die Baumwolle, die in den Südstaaten zum „weißen Gold“ wurde und eine „Plantagenaristokratie“ entstehen ließ.
In dem im C.H. Beck Verlag erschienenen Buch „King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus“ widmet sich Sven Beckert nicht nur der Entstehung des Kapitalismus, sondern leitet von der Geschichte der Baumwolle die Entstehung der gegenwärtigen Weltgesellschaft ab. Der Autor, geboren in Frankfurt/Main, ist Professor für amerikanische Geschichte an der Havard University in Cambridge/Massachusetts und gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der Kapitalismus- und Globalgeschichte.
Kapitalismus am Beispiel der Baumwolle
In der Tat zählt der Kapitalismus derzeit zu den spannendsten Themen in der Geschichtswissenschaft, allerdings beschränken sich die meisten Forscher auf einzelne Epochen oder Regionen. Beckert untersucht das Phänomen erstmals übergreifend und zwar anhand einer Ware, die heute fast jeder täglich trägt: Baumwolle. In 14 Kapiteln plus umfangreichem Anhang geht es aber nicht nur die Weltgeschichte des Baumwollanbaus, sondern gleichzeitig um Entstehung und Geschichte des Kapitalismus als epochen- und regionenübergreifendes Phänomen, das Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen verändert hat.
Im Zentrum der Betrachtung steht die Zeit zwischen 1860 und 1960. Unter dem Begriff „Kriegskapitalismus“ zeigt Beckert den Zusammenhang zwischen Kolonialismus, Gewalt und Zwang, Landraub und Krieg, Menschenverschleppung und Zwangsarbeit, Sklaverei und Ausbeutung im Namen von „King Cotton“ auf. Denn die Baumwolle sorgte einerseits für die rücksichtslose Zerschlagung fremder Kulturen, andererseits aber für immensen Reichtum seitens der Händler mit Hilfe der Staatsgewalt. Daraus entwickelte sich jene globale Ungleichheit in Sachen Wohlstand und Macht – bis heute Wurzel vieler Konflikte.
Von den Südstaaten nach Liverpool
Der Amerikanische Bürgerkrieg (1861–1865), dessen Spuren und Auswirkungen bis heute in den amerikanischen Südstaaten präsent sind, war der erste Wendepunkt, aus dem „Kriegskapitalismus“ wurde ein „Industriekapitalismus“. Dabei mauserte sich Liverpool zur bedeutendsten und reichsten Stadt im 19. Jahrhundert. Von hier gelangte die in den Südstaaten der USA billig produzierte Baumwolle an die britische textilverarbeitende Industrie und kam zurück als Endprodukt, das in alle Welt verkauft wurde.
Mit dem Ende der Sklavenwirtschaft in den USA verringerte sich der Einfluss der britischen Textilindustrie. Die Rohstoffproduktion kehrte nämlich dorthin zurück, wo die Wurzeln der Baumwolle liegen: nach Asien. Zunächst noch von Arbeitskräften diesseits und jenseits des Atlantiks verarbeitet, verlagerte sich aufgrund der Billiglöhne zuletzt auch die Textilproduktion wieder nach Asien.
Das aus über 500 Seiten bestehende Buch wird nie langweilig: Beckert schreibt flüssig, erzählt spannend und anschaulich und verfügt über großes Fachwissen. Ergebnis ist ein erhellendes Buch über Kapitalismus und Globalisierung – und über die Baumwolle, nicht nur in den USA.
© Text: M. Brinke – P. Kränzle, Fotos: M. Brinke, historische Postkarte und der Verlag (Buchcover).